Peter Ensikat

 

Mein Palast der Republik

 

Nein, mit dieser Überschrift will ich nicht meine Alteigentümer-Ansprüche auf diesen Palast anmelden. Angesichts der Absurdität vieler solcher Ansprüche frage ich mich allerdings schon manchmal, ob ich‘s nicht auch mal versuchen sollte. Denn wieso müssen diese Ansprüche immer nur aus München, Stuttgart oder Düsseldorf kommen? Kann nicht ein kleines Stück des Ostens auch mal einem Ostdeutschen gehört haben? Nun ja, der Boden, auf dem der Palast (noch) steht, dürfte wohl eindeutig den Hohenzollern gehört haben. Diese wurden zwar vor langer Zeit schon einmal gründlich abgefunden. Aber wir wissen ja inzwischen, wieviele von denen, die einmal abgefunden wurden, sich damit durchaus noch nicht abgefunden haben. Ein Rechtsstaat mag eine klare Sache sein, ein Rechtsweg kennt viele Umgehungsstraßen. Aber lassen wir das...

Als seinerzeit in der leergebombten und gesprengten Mitte Berlins jener Palast der Republik eingeweiht wurde, war Ostberlin – die Mitte lag nun mal im Osten damals – längst pleite. Das wußte allerdings kaum einer. Heute ist ganz Berlin pleite, und alle wissen es. Aber überall in der Stadt werden Konsum-, Bank- und Büropaläste gebaut, die nicht wegen Schließung leerstehen wie eben der Republik-Palast. Sie können wegen Leerstands gar nicht erst eröffnet werden. Aber keiner lacht.

Über den Palast der Republik haben wir schon gelacht, als er noch im Rohbau stand. Wenigstens Witze wurden gemacht über das, was man nicht ändern konnte – über die Renomiersucht der uns regierenden kleinen Leute. Schon den Fernsehturm nannten wir schlicht Renomierpimmel wie dann den Palast Palazzo prozzi oder EDEKA – Erichs Datsche am Kanal. Und als dann die Lichter zum erstenmal angingen in jenem von Partei und Regierung liebevoll “Palast des Volkes” getauften Bauwerk, sprachen wir nur noch von Erichs Lampenladen. Solche Bauten hielten wir damals für Betonklötze der Großmannssucht. Wir hatten ja keine Ahnung, wie Großmannssucht wirklich aussieht.

Für uns wie für die uns regierenden kleinen Provinzfürsten waren bereits westliche Messingmischbatterien geradezu verschwenderischer Luxus. Solcher Luxus – das wußten wir alle, obwohl es Staatsgeheimnis war – hing in den Wandlitzer Naßzellen unserer Politbüro-Greise. Wohl um das Volk einmal an solchem Luxus teilhaben zu lassen, bestellten die herrschenden Bauherren – so ging das Gerücht – die Sanitäranlagen für den Deutschen Demokratischen Palast der Republik im kapitalistischen Schweden. Natürlich war das top secret, sprach sich aber wie alles, was in der DDR so geheim war, in Windeseile herum. Ein zweites Gerücht – und ich bin ein so unbelehrbarer DDR-Bürger, daran zu glauben – besagte, daß diese Sanitäranlagen in Schweden mehrmals nachbestellt werden mußten. Denn auch auf dieser Großbaustelle des Sozialismus wurde besonders gern gestohlen, was im real-existierenden Sozialismus nicht zu kaufen war. Zwar war die Baustelle strengstens bewacht, aber die Intelligenz der Arbeiterklasse übertraf damals schon bei weitem die Intelligenz ihrer Sicherheitsorgane. Jede noch so kleine Aktentasche jedes ein- oder ausgehenden Bauarbeiters, Bauingenieurs oder Architekten wurde zwar eingehend kontrolliert, aber einen Blick auf die Ladeflächen der ein- und ausfahrenden Baufahrzeuge zu werfen, hat man lange Zeit vergessen. Das übrigens sagt mehr aus über die Effektivität der DDR-Sicherheitsorgane als viele Kilometer Aktenmaterial der Gauck-Behörde.

Was vorher niemand vermutet hatte, traf ein – kaum war der Palast fertig gebaut, da wurde er auch schon von denen angenommen, für die er angeblich gebaut worden war – von den Ostberlinern und ihren Gästen. Und das lag gewiß nicht allein an den so besonders luxoriösen Sanitäranlagen des Hauses.

Ich habe ziemlich lange gebraucht, meinen Widerwillen gegen das Prachtstück zu überwinden.. Schuld daran, daß es dabei nicht blieb, ist ein Kollege, ein Schauspieler und Regisseur vom Maxim-Gorki-Theater – Jochen Thomas. Er wollte oder sollte eine weihnachtliche Kinderrevue für den großen Saal des Palastes inszenieren und suchte dafür einen Textautor. Ich habe mich lange gewunden, konnte aber der freundlichen Impertinenz des Jochen Thomas auf Dauer nicht widerstehen. Und was eigentlich sprach gegen einen ganz und gar unsozialistischen Weihnachtsmann in diesem Großbau des Sozialismus?

Der Erfolg der Unternehmung gab der Hartnäckigkeit von Jochen Thomas recht, und aus der einen Weihnachtsrevue wurden viele, die nicht nur im Palast vor ausverkauftem Riesensaal liefen, sondern auch im Fernsehen der DDR regelmäßig übertragen wurden. Das mir besonders Sympathische an der Unternehmung war, daß da Kinder für Kinder sangen, tanzten, spielten. Neulich hörte ich in einer Fernsehreportage über Kinderballett in der DDR, daß auch hierzu nur Kinder von linientreuen Genossen Zugang gehabt hätten. Früher hatte ich immer gedacht, nur die DDR-Propaganda wäre so primitiv, Dinge zu behaupten, die jeder Beteiligte sofort widerlegen könnte. Vieles von dem, was heute über die zurecht dahingegangene Republik berichte wird, entspricht in seinem Wahrheitshalt in etwa dem, was die offizielle Selbstdarstellung der DDR an Wahrheit enthielt. So wie damals alles gut war, ist heute alles schlecht. Und manchmal hab ich das Gefühl, dieselben Stimmen zu hören, die früher blind jubelten und heute ebenso blind verdammen.

Eine andere Revue, für die ich damals Texte schrieb, wurde nicht im Fernsehen der DDR übertragen. Sie hatte den harm- und einfallslosen Titel “Spaß muß sein” und erfreute sich ebenfalls großer Publikumsresonanz, unter anderem weil da im großen Saal, also allabendlich vor mehreren tausend Zuschauern Dinge gesagt wurden, die man – wenn überhaupt – sonst nur in den Kabarettkellern oder –dachböden dieser Satire fürchtenden Republik zu hören bekam. Schuld daran, daß ich diesen Satire-Versuch mitmachte, war wiederum ein Schauspieler, diesmal vom Deutschen Theater, Eberhard Esche. Er hatte, an seine Zusage, die Revue zu conferencieren, die Bedingung geknüpft, daß ich ihm die Texte dafür schriebe. Ich war eitel genug, mich geschmeichelt zu fühlen, von so einem bedeutenden Schauspieler zu seinem Autoren gemacht zu werden, sagte zu, und die Revue lief und lief und wurde erst kurz vor dem Ende der DDR abgesetzt.

Als ich Eberhard Esche einmal fragte, warum er so eine Unterhaltungsrevue mitmachte, sprach er den schönen Satz, es wäre nun mal der Traum eines jeden Schauspielers einmal im weißen Frack eine Revuetreppe hinabzuschreiten. Um das also noch hinzuzufügen -–es war nicht alles rot im Palast der Republik. Es gab ganz und gar unpolitische Konzerte, aber eben auch das Fest des politischen Liedes. Daß auch die SED-Parteitage und andere politische Großveranstaltungen in diesem Palast stattfanden, hinderte nicht einmal erklärte Antikommunisten das Haus zu betreten. Die Gaststätten des Hauses waren beliebter als manche andere DDR-Restaurants. Das allerdings ist noch kein Qualitätsbeweis. Schließlich gehörten unsere Restaurants neben den Wohnungs- und anderen Ämtern zu den ungastlichsten Stätten der Republik.

Jedenfalls wurde im Palast der Republik ganz und gar unpolitisch gegessen, getrunken, manchmal auch gesoffen, getanzt, gekegelt, gefeiert. Und einmal, als Honecker bei unser aller Kohl auf Staatsbesuch war, sendete sogar das ZDF aus dem Palast der Republik – das Politmagazin “Kennzeichen D”. Und in jener Sendung – wie gesagt, Kohl saß oder stand gerade mit Honecker im Westen herum, sagte in jener Sendung der SPD-Politiker Egon Bahr im Ostberliner Palast der Republik, alles was er politisch bewirken wollte, sei die Einheit Deutschlands. Das fand damals nicht nur ich ganz und gar unerhört. Daß sich der Bahr getraute in Ostberlin zu sagen, was Kohl in Bonn sich nicht traute, das fand und finde ich zumindest noch heute bedenkenswert.

Aber zurück zum Palast der Republik! Er wurde auch nach dem Sturz der ostberliner Regierung nicht gestürmt, sondern weiter besucht, als habe das Haus mit dem politischen System nichts zu tun.

Erst die letzte Volkskammer, die zugleich die erste von uns frei gewählte war, erkannte dann den politischen Symbolwert dieser Kommunistenfalle. Die Abgeordneten flohen im Sommer 1990 geschlossen aus dem Palast. Daß dies wegen der plötzlich festgestellten Asbestbelastung geschah, kann gar nicht sein. Schließlich flohen unsere mutigen Abgeordneten in ein Haus mit wesentlich höherer Asbestbelastung.

Der Asbestgehalt des Palastes der Republik – das wissen wir jetzt endlich, so viele Jahre nach seiner Eröffnung – ist keine Materialfrage, sondern eine Frage der politischen Grundüberzeugung. Für die, die den Palast erhalten möchten, ist es guter Asbest, zumindest kein schlechterer als der, der sofort nach seiner Entdeckung aus dem Westberliner ICC entfernt wurde. Für die anderen, die wahren Demokraten also... Das ist übrigens demokratisches Grundprinzip unserer neuen Demokratie, daß – wenn man selbst Demokrat ist, und das ist man natürlich ohne Frage – die anderen gar keine Demokraten sein können. Für die Demokraten also ist der ganze Palast ein Hort unbelehrbarer Asbestkommunisten, die die ganze Demokratie mit sich und ihrem Asbest verseuchen wollen. Zwar weiß noch kein Mensch so recht, was man an die Stelle des Palastes stellen könnte und erst recht nicht, wie man das dann bezahlen könnte. Aber das wußten die Kommunisten damals ja auch nicht, als sie das Berliner Schloß wegreißen ließen, um sich von einem Teil deutscher Geschichte loszusagen, den sie einfach nicht mochten. Damals allerdings ahnte noch kein Mensch, was für ein gutes, demokratisches Argument Asbest sein kann, um deutsche Geschichte zu entsorgen.

 

PS: Wer übrigens den Palast wegreißen will, der sollte auch den benachbarten Marstall nicht vergessen. Dort nämlich saßen die, die im Palast etwas zu sagen hatten, die ganzen Chefs mit ihrer bolschewistischen Verwaltung. Ein unterirdischer Gang zwischen dem Palast und dem Marstall ist noch heute Beweis für die enge Verbindung beider Gebäude zu Diktaturzeiten.

 Die Bürgerinitiative PRO PALAST dankt dem Textautor Peter Ensikat für die freundliche Überlassung des Textes und die Unterstützung anläßlich der 3. Gala am 20.01.1998. Unser Dank gilt auch Heinz Behling, der uns 1993 die symbolische Skizze SCHÜTZT DEN PALAST für unsere Aktionen übereignete, und ebenso Jochen Petersdorf, der die Palast-“Hymne” aus Anlaß der 1. Gala am 21.01.1997 schuf.